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◷ 25 min read - Jun 10, 2020

Hochsensibel beim AMS

Dass ich anders als meine Mitmenschen war, wusste ich schon lang und bevor ich es selbst wusste, wussten es bereits meine Eltern. Manchmal dachte ich, die Welt wäre verrückt und voller Idioten und manchmal glaubte ich, ich wäre krank oder kaputt, weil ich mich in dieser Welt nicht zurechtfand. Wie ich inzwischen gelernt habe, hat mein Anderssein seit einigen Jahren einen Namen: Hochsensibilität. Es scheint ein kleiner Teil der Menschen (und auch anderer Spezies) ein sensibleres Nervensystem zu haben, das Reize deutlich tiefgehender verarbeitet. Über die Hochsensibilität zu lesen war eine befreiende Erfahrung, denn ich war zwar immer noch anders, aber konnte nun sehen, dass dieses Anderssein ganz normal war.

Die Erkenntnis hochsensibel zu sein verdanke ich in gewisser Weise dem AMS (Arbeitsmarktservice), bei dem ich seit 2014 "Kunde" bin. Das heißt, dass ich in Österreich als arbeitslos und arbeitssuchend gemeldet bin und zunächst Arbeitslosengeld und inzwischen Notstandshilfe beziehe. Aus Sicht der AMS-"BeraterInnen" (korrekt wäre "VermittlerInnen", da sie meiner Erfahrung nach nicht beratend tätig sind) handelte es sich bei mir um einen augenscheinlich gesunden Mann Ende 20 (nun Mitte 30) mit universitärem Abschluss. Da müsste sich doch schnell eine neue Arbeitsstelle finden lassen. Das sollte sich aber als problematisch herausstellen. Meinen höchsten Abschluss (MSc) hatte ich in England gemacht, in einem Fachbereich ("Evolutionary and Adaptive Systems"), in dem die hiesige Forschung hinterherhinkte und die Wirtschaft (noch) kein Interesse zeigte. An einer Uni in der Nähe war mal eine passende PhD-Stelle ausgeschrieben, doch beim Vorstellungsgespräch wurde deutlich, dass im Prinzip nur eine günstige Programmierkraft für ein Projekt gesucht wurde, auf das man dort sichtlich stolz war. Mich hat das Projekt allerdings nicht angesprochen, da ich dabei nichts hätte lernen und erst recht nichts hätte erforschen können, was über die Inhalte meines Studiums in England hinausgegangen wäre. Zu meinem durchaus innovativen PhD-Proposal sagte man mir, dass ich daran in meiner Freizeit arbeiten müsste. Seitens der Wirtschaft schienen nur Mitarbeiter zur Entwicklung uninspirierter Softwareprojekte gesucht zu werden. Eine wichtige Lektion, die ich bei meiner letzten Arbeitsstelle als Softwareentwickler gelernt hatte, war, dass es für mich zunehmend qualvoll wurde, an Projekten zu arbeiten, die mich nicht persönlich interessierten und in denen ich keinen Mehrwert für die Menschheit sah, sondern die nur dazu dienten, irgendwen reicher zu machen. Eben das schien aber die Motivation sämtlicher Unternehmen zu sein, die hier Entwickler suchten. Es wurde deutlich, dass ich mich umorientieren musste. Da ich seit Ende 2013 auch als Meditationslehrer selbstständig war, rückte diese Tätigkeit ins Zentrum meiner professionellen Bestrebungen.

Minenfeld Selbstständigkeit und AMS

Beim AMS riet man mir dazu, an einem AMS-Förderprogramm für Selbstständige teilzunehmen. Teil der Bedingungen aufgenommen zu werden war allerdings, dass man 5 Jahre vor der Antragstellung nicht selbstständig war. Das war ich ja bereits. Und das war gut so, denn in meinem Fall wäre dieses Förderprogramm eine gemeine Falle gewesen. Förderung gibt es nämlich nur für ein paar Monate und wenn es dann nicht läuft, gibt es gar kein Geld mehr. Überhaupt ist es so, dass ich, wenn ich in einem gegebenen Jahr mit meiner Selbstständigkeit über die Geringfügigkeitsgrenze hinaus verdiente, den Anspruch auf Leistungen vom AMS ab und einschließlich dieses Jahres verlieren würde. Entsprechend müsste ich alle Gelder zurückzahlen, die ich im betreffenden Jahr bereits bezogen hätte. Obendrein verlöre ich die Krankenversicherung bei der GKK und die SVS (ehemalige SVA) würde im Rahmen des sog. "Lückenschlusses" die Versicherungspflicht rückwirkend für das ganze Jahr übernehmen. Deshalb müsste ich nicht nur dem AMS Geld zurückzahlen, sondern zusätzlich auch der SVS. Rechnet man sich das auch nur überschlagsmäßig durch, stellt man schnell fest, dass man die Geringfügigkeitsgrenze nicht ein bisschen überschreiten darf, sondern wenn dann gleich regelrecht sprengen muss, um nicht in eine perfide Schuldenfalle zu tappen. Würde man zu einem späteren Zeitpunkt aus der vollversicherten selbstständigen Tätigkeit wieder zurück zum AMS wollen (z.B. weil man im Folgejahr wieder nur geringfügige Einnahmen verzeichnet), müsste man die Selbstständigkeit aufgeben. Als Gewerbetreibender könnte man dazu sein Gewerbe ruhend melden. Da ich als Meditationslehrer aber als neuer Selbstständiger gewerbefrei tätig bin, müsste ich dem AMS gegenüber glaubhaft machen, dass ich nicht länger Meditation unterrichte. Der Ist-Zustand ließe sich also gar nicht wiederherstellen. Dies sind gefährliche Gewässer. Wie die Sirenen in den Ozeanen griechischer Mythologie riet man mir übrigens immer wieder zur Teilnahme an besagtem Förderprogramm für angehende Selbstständige.

AMS-Kontrolltermine waren trotz einer freundlichen Beraterin stets eine emotionale Herausforderung. Die Anspannung machte sich schon Tage vorher in meinem Körper bemerkbar. Zu den Terminen brachte ich immer das gleiche mit: Keine passenden Stellen gefunden, keine nennenswerten Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit, aber kleine Fortschritte und große Zukunftspläne. Manchmal wurden mir Stellen zum Bewerben übermittelt, manche Bewerbungen führten zu Vorstellungsgesprächen, aber ein Arbeitsverhältnis kam nie zustande. Nach fünf Jahren galt ich schließlich als "Langzeitarbeitsloser". Ich wurde einer neuen Beraterin zugewiesen. Die schien meine Bemühungen um Selbstständigkeit nach mehr als fünf Jahren als wenig erfolgversprechend zu erachten und sie verschwendete keine Zeit, mir Stellen aus dem sog. "zweiten Arbeitsmarkt" zuzuweisen. Das sind sog. "soziale Betriebe", die "gemeinnützige Beschäftigungsprojekte" durchführen, in deren Rahmen sie "Transitmitarbeiter" beschäftigen, deren Stellen vom AMS "gefördert" werden. Das AMS neigt zu euphemistischer Selbstdarstellung. Wenn man von seinem Berater bzw. Beraterin eine Stelle zugewiesen bekommt, ist man dazu verpflichtet, sich dort zu bewerben, sofern man dafür nicht nachgewiesenermaßen ungeeignet ist. Kommt man dieser Aufforderung nicht nach, hat dies zur Folge, dass man für 6 Wochen kein Geld mehr bekommt. Man wird also unter Androhung des Entzuges der Existenzgrundlage dazu genötigt, sich zu bewerben. Von Freiwilligkeit kann keine Rede sein. Dennoch beginnt jedes Anschreiben einer Stellenzuweisung mit den Worten: "wir freuen uns, Ihnen dieses Stellenangebot übermitteln zu können" und auch die MitarbeiterInnen scheinen diese Einstellung verinnerlicht zu haben. Man werde ja zu nichts gezwungen - so scheint man diese Ansicht dort zu rationalisieren.

Kommt ein Hochsensibler in eine Großküche...

Es wurde vielfach angekündigt und schließlich umgesetzt, dass ich mich als Zusteller bei einer Großküche bewerben sollte, die Kindergärten und Schulen in der Region mit Essen belieferte - eines dieser "gemeinnützigen Beschäftigungsprojekte". Damals glaubte ich noch, dass "gemeinnützig" mehr als nur ein Euphemismus wäre. Beim Vorstellungsgespräch wurde ich von einer sympathisch wirkenden jungen Dame (im Folgenden die Verwalterin) gefragt, ob ich 25 Stunden pro Woche als Zusteller arbeiten wollte, oder 25 als Zusteller und 5 als Aushilfe in der Küche - also insgesamt 30. Da ich in meiner Jugend bereits einmal in einer Großküche gearbeitet hatte, wusste ich bereits, dass mir diese Arbeit nicht lag. Das erklärte ich kurz und wurde für die 25-Stunden-Stelle vorgemerkt. Wenige Wochen darauf bekam ich einen Anruf von der Verwalterin, dass eine Stelle frei sei, allerdings nur 30 Stunden mit Küchenarbeit. Ob ich mir das vorstellen könnte. Ich wies darauf hin, dass das nicht dem entspricht, was wir besprochen hatten. Es hieß, es sei derzeit keine andere Stelle frei, weshalb sie mir nun diese anbieten würde. Zu diesem Zeitpunkt spürte ich inneren Widerstand in mir, aber da ich bereits ein paar Jahre arbeitslos gemeldet war, fand ich, dass ich diesen Widerstand überwinden sollte. Auch war die Stelle befristet auf 2 Monate und die würde ich schon durchhalten. Das teilte ich der Verwalterin am Telefon so mit und nahm die Stelle an. Da weder mir noch dem AMS damals bewusst war, dass diese Stelle mir nicht zumutbar sein würde, hätte ich ohnehin nicht ohne 6-wöchige Bezugssperre ablehnen dürfen.

Ich sollte keine drei Tage durchhalten.

An einem durchschnittlichen Tag bedeutete Küchenarbeit, 1 Stunde und 45 Minuten auszuhelfen, wo Hilfe benötigt wurde. Dem aufmerksamen Leser bzw. Leserin wird auffallen, dass ursprünglich nur eine Stunde Küchenarbeit pro Tag ausgemacht war. Nun kamen plötzlich noch einmal 75% extra dazu. In meiner kurzen Zeit dort umfasste diese Arbeit Kartoffeln schälen und die Reinigung von Flächen, Geräten und Transportcontainern. Vom Prinzip her also Dinge, die ich auch im eigenen Haushalt erledigte und eigentlich kein Problem sein sollten. Deshalb war es verwunderlich, dass ich mich am dritten Arbeitstag unfähig vorfand, in der Küche zu arbeiten. Das war so seltsam, wie es klingt. Da mir diese Arbeit nicht entsprach, war ich Widerwillen ja bereits gewohnt. Diesen überkam ich jeden Tag, den ich dort arbeitete. Doch nach der Essenszustellung am dritten Tag konnte ich nicht mehr in der Küche arbeiten. Es ging einfach nicht. Ein treffendes Bildnis ist, Widerwillen mit dem Widerstand eines Gewichtes beim Muskeltraining gleichzusetzen. Ein bisschen Gewicht ist leicht, mittleres Gewicht ist anstrengend und ein zu schweres Gewicht ist unschaffbar schwer zu heben. Nun stelle man sich vor, dass einem beim Training der Arm einschläft. Wie schwer das Gewicht ist, kann man nun gar nicht mehr feststellen, da der Arm nicht gehorcht. Es "geht einfach nicht". Das teilte ich der Verwalterin mit und bat sie um andere Arbeit oder Stundenreduzierung, so dass ich nur Essen ausliefern würde. Das empfand ich zwar auch als Belastung, aber immerhin war es mir überhaupt möglich. Sie sagte, dass sie keine andere Arbeit habe, diese Stelle nur in Verbindung mit Küchenarbeit besetzbar sei, und sie die Stunden auch nicht reduzieren könne. Dann fragte sie mich, ob ich es mir noch einmal überlegen wolle. Das brauchte ich nicht, denn es war sehr deutlich, dass es einfach nicht mehr ging. Sie teilte mir mit, dass sie mich dann für den kommenden Tag wieder abmelden würde und wünschte mir alles Gute.

Als ich mich daraufhin beim AMS wieder arbeitslos meldete, machte man mich darauf aufmerksam, dass ich gekündigt hätte. Das hat mich überrascht, da mir bewusst war, dass mir in diesem Fall der Bezug, auf den ich angewiesen war, für 4 Wochen gesperrt werden würde. Ich bin fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Verwalterin Verständnis für meine Situation hatte und mich in Einvernehmlichkeit gehen ließ. Beim AMS riet man mir dazu, noch einmal mit dem Arbeitgeber zu sprechen und ansonsten könnte ich mich auch bei der Arbeiterkammer beraten lassen. Also rief ich die Verwalterin an und fragte nach. Diese beharrte darauf, dass sie mich ja weiterhin beschäftigen würden, aber ich nicht mehr wollte und dies daher eine Dienstnehmerkündigung sei. Bei der Arbeiterkammer stimmte man ihrer Ansicht zu und ich bekam auch hier den Rat, noch einmal mit ihr zu reden, ob man sich nicht nachträglich darauf einigen könnte, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufzulösen. Also rief ich sie erneut an, aber mit dem gleichen Ergebnis. Sie könne eine einvernehmliche Auflösung nicht begründen und ich sollte dem AMS die Dinge genauso darlegen wie ich sie ihr geschildert habe. Ich erkundigte ich mich genauer und kam zur Erkenntnis, dass ich dem AMS wohl mehr Rechenschaft schuldig sein würde als "es ging einfach nicht", wenn ich um Nachsicht ansuchen wollte. Also reflektierte ich über die Erlebnisse dieser drei Tage und was dazu geführt haben könnte, dass es mir nicht mehr möglich war, in der Küche zu arbeiten. Dabei fand ich die Ursache schließlich heraus. Mit diesen neuen Informationen schrieb ich der Verwalterin eine Email, in der ich ihr die Ursache erklärte und bat sie ein letztes Mal darum, mich einvernehmlich gehenzulassen, da mir sonst die Existenzgrundlage entzogen werden würde. Kurz darauf erhielt ich die knappe Antwort, dass das Dienstverhältnis in der Probezeit durch Lösung des Dienstgebers beendet wurde. Gerettet, aber haarscharf.

Der Grund, dass ich nicht mehr in der Küche arbeiten konnte, ist selbstverständlich (im Nachhinein) in meiner Hochsensibilität begründet. Auf der Suche nach einem Grund dafür, warum mich bestimmte Erfahrungen anscheinend mehr belasteten als die anderen MitarbeiterInnen, stolperte ich über einen kurzen Wikipedia-Artikel zur Hochsensibilität. Hier ein paar Auszüge:

"Hochsensibilität [...] bezeichnet ein psychologisches und neurophysiologisches Phänomen. Betroffene nehmen Sinnesreize viel eingehender wahr, verarbeiten diese tiefer und reagieren auch dementsprechend stärker darauf als der Bevölkerungsdurchschnitt."

"Es handelt sich bei Hochsensibilität nicht um eine „psychische Störung“ oder „Erkrankung“, sondern um eine eine psychologische und neurophysiologische Ausprägung, die laut einiger Experten bei etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung auftreten soll."

"Je nach individueller Ausprägung der Hochsensibilität sollen praktisch alle Arten von Sinneseindrücken stärker und damit detaillierter wahrgenommen werden können; häufig wird auch von höherer Intensität des Empfindens von Stimmungen der Mitmenschen berichtet. Intellektuell erfahre man sich zum Teil als intensiver und gründlicher analysierend, mit einer Neigung zur Spiritualität."

"Hochsensible Menschen messen oft selbst scheinbar unwichtigen Sachen große Bedeutung bei. Der Hang zur Detailverliebtheit sowie die Wertschätzung sozialer Kommunikation erfordern Zeit, Sorgfalt und eine ruhige Atmosphäre, die nicht immer gegeben ist. Deshalb sehen sich Hochsensible zum Teil mit Appellen konfrontiert, sich an die Gegebenheiten anzupassen (z. B. „Stell dich nicht so an!“). Gemessen am Ideal der Leistungsgesellschaft ist dies mitunter ein Nachteil, auch deshalb, weil hochsensible Menschen oft typische Querdenker sind und in ihren Problemlösungsstrategien nicht den gesellschaftlichen Standards entsprechen. Regeln sind somit für sie oft zu grob, undifferenziert oder ungerecht. Deshalb ist für viele Hochsensible das Finden des für sie richtigen Berufs und Arbeitsplatzes, bei dem ihre spezifischen Fähigkeiten zum Tragen kommen und geschätzt werden, aber auch ihr Wunsch nach Harmonie, Sinn und Werteorientierung in einer von Wettbewerb geprägten Gesellschaft befriedigt wird, eine besondere Herausforderung. Es dauert oft lange, bis sie eine passende Tätigkeit finden."

Diese Abschnitte schienen meine Person außerordentlich gut zu beschreiben. Sie erklären auch meine Erfahrungen bei dieser Arbeitsstelle und warum mein Gehirn nicht in der Lage war, weiter in der Küche zu arbeiten. Inzwischen habe ich zwei Bücher über Hochsensibilität gelesen, die meine Vermutungen bestätigten.

Eines der Dinge, die ich anscheinend tiefer verarbeite als andere Menschen, ist Sprache. Ich rede gern mit anderen Menschen, aber nicht zu lang und nur, wenn diese etwas Relevantes zu sagen haben. Das schaffe ich sehr gut für ca. 2-3 Stunden. Dann wird es anstrengender. Irgendwann setzt eine Art Überreizung oder Überforderung ein. Nach 4-5 Stunden muss ich das Gespräch beenden, weil ich nicht mehr kann. Probleme entstehen, wenn ich jemandem zuhöre, der einfach des Redens wegen redet. Der Mitarbeiter, mit dem ich das Essen auslieferte, war eine sehr gesprächige Person. So kam ich auf volle 4 Stunden und 15 Minuten ununterbrochene Sprachverarbeitung. Das meiste davon passiv, da ich wenig zu sagen hatte. Er war aber sehr freundlich und hilfsbereit. Gleich nach den ersten paar Worten bat ich ihn im Auto, das Radio leiser zu stellen, da mein Hirn seine Stimme und die Stimme der Moderatorin im Radio gleichzeitig verarbeiten wollte, wodurch ich keinem von beiden folgen konnte. Am zweiten Tag brachte ich etwas ruhige Musik ohne Sprache mit, so dass dieses Problem gemildert wurde. Das lange Sitzen mit abgewinkelten Beinen im Auto führte zu Schmerzen. Zuhause sitze ich auf einer Decke am Boden und wechsle häufiger die Haltung. Da ich Beifahrer war, setzte mich während längerer Strecken mit überkreuzten Beinen auf den Sitz, wie ich hier auch häufig am Boden sitze. Das linderte dieses Problem. Übrigens musste ich dafür einen Schuhlöffel mitbringen, da mir ansonsten die Finger beim Anziehen der Schuhe schmerzten, wenn sie wiederholt zwischen Ferse und Hinterkappe des Schuhs eingequetscht wurden. Soviel zur Empfindlichkeit. Auch war mir beim Fahren durch die Klimaanlage unangenehm kalt, doch der Mitarbeiter war damit einverstanden, die Klimaanlage nur bei Bedarf kurz einzuschalten, so dass die Luft nicht zu kalt wurde.

Auf Geruch und Geschmack reagiere ich besonders empfindlich. Ich wunderte mich in der Vergangenheit häufig, dass die meisten anderen Menschen den Geschmack von Essen scheinbar nicht so wertschätzen konnten, wie ich. Die Hochsensibilität erklärt das nun endlich. Leider geht das auch in die andere Richtung, wodurch ich verstärkt Ekel empfinde. Zum Beispiel hat fast jeder Mensch Mundgeruch. Wenn ich mit jemandem rede, ist deren Atem für mich manchmal unerträglich zu riechen. Mit etwas Abstand kann ich das meist gut handhaben. In Bewegung läuft man leider oft durch regelrechte Atem-Wolken. In einem Arbeitsumfeld, wo Menschen sich viel umeinander herum bewegen, muss ich deshalb stets aufpassen, nicht im falschen Moment einzuatmen. Das war bei der Essensauslieferung nicht einfach, wenn man zu zweit einen Essenscontainer trägt und dabei hintereinander geht. Dieses Problem anzusprechen gelingt mir allerdings meist nur bei Freunden, da ich nicht möchte, dass sich das Gegenüber schämt, nur weil mein Geruchssinn überdurchschnittlich sensibel ist. Bei der Küchenarbeit war Mundgeruch weniger problematisch, da diese einen penetranten Eigengeruch hatte, der fast alles übertünchte. Er war nicht angenehm, aber im Vergleich wohl oft das kleinere Übel. Nur der Duft bratender faschierter Laibchen übertrumpfte einmal diesen Eigengeruch. Ansonsten konnte man andere Gerüche nur aus unmittelbarer Nähe wahrnehmen. Durch mein ausgeprägtes Ekelempfinden lege ich Wert auf Hygiene. Mein eigener Dreck ist dabei nicht so schlimm wie der Dreck anderer. Beim Mittagessen in der kücheneigenen Kantine hustete eine Mitarbeiterin mehrfach über den Tisch auf meinen Teller und in mein Gesicht, die Hand des Anstands wegen vor dem Mund, doch nicht genug, um den Luftstrom aufzuhalten. Ihrer Beschreibung nach zu urteilen kurierte sie gerade eine Kehlkopfentzündung aus. Ich glaube nicht, dass sie extra in meine Richtung gehustet hat, aber ich konnte das Essen daraufhin noch weniger genießen - und es schmeckte bereits außerordentlich lieblos zubereitet. Ich hoffe, die Kindergärten bekommen besseres Essen als die Mitarbeiter. Am zweiten Tag gab es in der Kantine keine tiefen Teller mehr für die Suppe. Es waren am ersten Tag bereits nur wenige dieser Teller vorhanden. Auf Nachfrage teilte man mir mit, dass ich mir in diesem Fall einen benutzten Teller abwaschen müsse. Also nahm ich einen Suppenteller, von dem ein anderer Mitarbeiter kurz vorher gegessen hatte, und spülte ihn ab. Das löste großen Ekel in mir aus. Mir war auch völlig unbegreiflich, wie man eine Großküche führen und dabei die eigene Kantine sowohl kulinarisch als auch ausstattungstechnisch derartig vernachlässigen konnte.

Als ich beim Kartoffelschälen die effizientere Schälmethode einer Mitarbeiterin kopierte, schnitt ich mir versehentlich in den Finger. Zu diesem Zeitpunkt trug ich keine Handschuhe und die Fingerkuppen waren vom Schälen aufgeweicht wie nach einem langen Bad. Ich desinfizierte den Finger, bekam ein Pflaster und die Anweisung, nun Handschuhe tragen zu müssen. Das machte Sinn, denn schließlich sollten die Kindergartenkinder ja nicht blutverschmierte Kartoffeln essen. Dann wollte ich den Kartoffelschäler reinigen, mit dem ich mich geschnitten hatte. Ich fragte nach, wie und wo, aber eine gründliche Reinigung schien für meine Mitarbeiterinnen irrelevant zu sein. Vielleicht, weil es nur ein sehr kleiner Schnitt war und nicht stark blutete. Ich wusch den Kartoffelschäler zumindest mit Wasser ab. Später bekam ich zufällig mit, dass Messer allgemein desinfiziert würden. Diese Information hätte ich vorher gebraucht, aber scheinbar war noch nicht jede(r) MitarbeiterIn darüber informiert. Beim Ausziehen der Einweghandschuhe fiel mir auf, dass mehrere Finger nicht mehr vom Handschuh umgeben waren, da dieser einfach gerissen war. Am zweiten Tag zerstörten meine Finger innerhalb einer guten Stunde ca. 5 Paar Handschuhe - wohlgemerkt bei sachgemäßer Verwendung. Sie waren einfach zu klein bzw. meine Hände zu groß.

Am Abend des ersten Arbeitstages fiel mir auf, dass mein Rachen gereizt war. Ich vermutete zuerst, dass dies von der Klimaanlage im Auto herrührte, aber die Reizung setzte sich am zweiten Tag fort, an dem die Klimaanlage nur sporadisch kurz aktiviert wurde. Am dritten Tag arbeitete ich nicht mehr in der Küche und die Reizung wurde besser. Ich führe diese daher auf die Dämpfe (vermutlich der Reinigungsmittel) in der Küche zurück. Geputzt wurde leicht feucht mit Spülmittellauge. Es wurde nicht mit Wasser nachgewischt, auch nicht die Innenbereiche von ofenartigen Geräten (Kombidämpfer?). Dass hier Spülmittelreste erhitzt und u.U. auf den Nahrungsmitteln verteilt werden könnten, schien irrelevant zu sein.

Ich bekam für die Arbeit in der Küche Arbeitskleidung gestellt - aber nur teilweise. Ich bekam zwei fleckige, weiße T-Shirts und eine Schildkappe, die so klein war, dass sie nur lose auflag und mir vom Kopf fiel, wenn ich mich unvorsichtig bückte. Dazu bekam ich den Auftrag, in Zukunft eine Hose und Pantoffel für die Küchenarbeit mitzubringen. Die Umkleidekabine befand sich direkt vor dem Pausenbereich, in dem zu der Zeit, in der ich mich umziehen musste, gegessen und pausiert wurde. Daher gingen auch Mitarbeiter ein und aus, als ich mich umzog. Wenn die Türe dann geöffnet war, konnten auch Mitarbeiter des anderen Geschlechts, die gerade Pause machen, in die Kabine einsehen. Dies verletzt meiner Meinung nach die Sittlichkeit. Einen Schlüssel für den Spint bekam ich nicht, da ich für diesen 10 Euro Pfand hinterlegen müsse, die ich zu diesem Zeitpunkt nicht hatte. Meine Wertsachen musste ich also im Auto unterbringen. Am zweiten Tag bat ich um neue T-Shirts, da das eine zu klein war und ich das andere bei der Arbeit nassgeschwitzt und darum anschließend in die Wäsche gegeben hatte. Man teilte mir daraufhin mit, dass ich die T-Shirts mindestens 2-3 Tage tragen müsse. "Das machen wir alle so", hieß es. An dieser Stelle hat mich wohl der Küchengeruch gerettet, denn den Schweißgestank mehrtägig getragener Arbeits-Shirts hätte ich nicht ertragen. Die Pantoffel, die ich mitbrachte, waren leider nicht angemessen, da sie vorn nicht geschlossen waren (Sandalen). Ich sagte, dass ich leider keine geschlossenen Nicht-Straßenschuhe besitze. Die Mitarbeiterin antwortete, dass ich dann welche kaufen müsse. Ich erwiderte, dass ich nicht genügend Geld habe, mir neue Schuhe zu kaufen. Die Antwort war, dass ich Schuhe kaufen müsse, wenn ich hier arbeiten wolle. Daraufhin erklärte ich, dass ich hier ja gar nicht arbeiten wollte. Dann sollte ich darüber mit der Verwalterin reden, hieß es. Wie am Folgetag das Gespräch mit der Verwalterin verlief, habe ich bereits geschildert. Ich empfand es als moralisch verwerflich, Notstandshilfempfänger, d.h. Menschen in einer Notsituation, nicht nur zur Arbeit zu nötigen, sondern auch noch von ihnen zu verlangen, dass sie ihre eigenen Arbeitsmittel besorgten. Man soll für eine Arbeitsstelle, die man nicht will, Geld ausgeben, das man nicht hat. Das konnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Das Gespräch mit der Mitarbeiterin verlief zwar freundlich und höflich, aber der Inhalt dürfte der sprichwörtliche Tropfen gewesen sein, der mein hochsensibles Fass zum überlaufen brachte, so dass ich am folgenden Tag die Küche nicht mehr betreten konnte. Mein Sinn für Gerechtigkeit scheint ebenso empfindlicher zu sein als der anderer Menschen.

Anscheinend reagiere ich auch überdurchschnittlich empfindlich auf die Stimmung anderer. Wenn Menschen in meiner Gegenwart sich z.B. etwas lauter streiten, verlasse ich meist den Raum. Ihrer Natur gemäß fand ich bei dieser Arbeitsstelle Mitarbeiter in schlechten Stimmungen vor. Der Mitarbeiter mit dem ich das Essen ausfuhr, hatte glücklicherweise eine sehr lebensbejahende Ausstrahlung, was angenehm war. Doch in der Küche sah das anders aus. Manche Mitarbeiter waren extrem demotiviert. Manche regten sich über andere Mitarbeiter auf. Es wurde häufig gelästert. Einen Mitarbeiter empfand ich sogar als bedrohlich. Wohlgemerkt bezieht sich dies nur auf meine Wahrnehmung und es kann sich dabei durchaus um Projektion gehandelt haben. Ich bin zu keiner Zeit tatsächlich bedroht worden. Beim Ausliefern des Essens glich die positive Stimmung des Fahrers die anderen Schwierigkeiten wohl soweit aus, dass es für mich noch erträglich war, doch in der Küche gab es keine Lichtblicke und ich musste mich bemühen, die Stimmungen/Ausstrahlungen der anderen zu ignorieren.

Die Leiden des hochsensiblen Arbeitslosen

Soviel zu meinem Erleben dieser Arbeitsstelle. Was ich daran beim Reflektieren bemerkenswert fand, ist, dass all diese Dinge für die anderen Mitarbeiter nicht so schlimm gewesen zu sein schienen. Diese Überlegung brachte mich schließlich zur Hochsensibilität und dann ergab alles Sinn. Bei unserem Abschlussgespräch sagte die Verwalterin zu mir: Wenn sie in meiner Situation wäre, würde sie halt einfach die zwei Monate Arbeit durchziehen. Sie könne nicht nachvollziehen, dass ich das nicht könne. Als ich die Stelle annahm, hatte ich genau das vor. Wie sich herausstellte, war mir das aber nicht möglich. Eine Dame vom AMS, die zum Glück nicht meine Beraterin war, redete sehr geringschätzend mit mir. Sie sagte z.B., dass sie sich an meiner Stelle schämen würde, so lange arbeitslos zu sein. Als ich ihr meine kürzlich entdeckte Hochsensibilität erklärte, behauptete sie, dass man das behandeln könne und dass sie sich da auskenne, weil sie mal an der Uni etwas über Psychologie gelernt habe. Anscheinend nicht genug. Da sie sich mir gegenüber aber in einer Machtposition befand, habe ich meine Verletzung und Wut geschluckt und das Gespräch möglichst diplomatisch zu einem baldigen Ende navigiert. Nichthochsensible Personen, ob AMS-MitarbeiterInnen oder andere Mitmenschen, können die Erfahrungen von Hochsensiblen nicht direkt nachvollziehen und unterstellen hochsensiblen Arbeitslosen deshalb leicht Arbeitsunwilligkeit. Ich selbst empfinde mich dagegen als ausgesprochen arbeitswillig. Phasenweise würde ich mich sogar als Workaholic bezeichnen. Jedenfalls arbeite ich so viel, dass ich eigentlich gar keine Zeit für zusätzliche Arbeit habe. Die Großküche, bei der ich laut Arbeitsvertrag im Übrigen als "Auslieferer" angestellt war, nicht als Küchengehilfe, nennt sich ein "gemeinnütziges Beschäftigungsprojekt" das der "Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt" diene. Bereits beim Vorstellungsgespräch erklärte ich, dass ich eigentlich keine Beschäftigung oder "Wiedereingliederung" suchte, sondern durch das AMS vermittelt wurde, da ich mit meinem Beruf so wenig verdiente, dass ich auf Notstandshilfe angewiesen war.

Die negativen Erfahrungen in der Großküche hielten meine neue AMS-Beraterin übrigens nicht davon ab, meine Arbeitskraft erneut auf dem zweiten Arbeitsmarkt feilzubieten. Nachdem sie mich bereits zu einer Maßnahme geschickt hatte, in der ich Bewerbungstraining erhielt, sollte ich mich bei einem weiteren "sozialen" Betrieb bewerben. Das "Bewerbungsgespräch" wurde hier nicht persönlich geführt, sondern als außerordentlich mieser Frontalvortrag mit anschließendem Ausfüllen eines Fragebogens. Ich empfand die Situation als entmenschlichend. Ich befand mich mit geschätzt 50 anderen Menschen auf sehr engem Raum zusammengepfercht. Die schmalen Stühle standen dicht an dicht. Vor mir, hinter mir, links und rechts von mir, überall verletzten fremde Menschen gezwungenermaßen meine intime Zone. Anliegend rings um die "Bewerber" herum: eine harte Wand. Der einzige Ausgang befand sich schräg hinter dem Vortragenden. Ich bin nicht klaustrophobisch, aber diese Situation fühlte sich äußerst beengend an. Wäre eine Panik ausgebrochen, hätte es sicherlich Verletzte gegeben, wenn nicht Schlimmeres. Manche der Anwesenden konnten kein Deutsch, andere waren offensichtlich schon "länger dabei" und beklagten zynisch, dass einige der vorgetragenen Regelungen ihre Rechte als Arbeitnehmer missachteten. Der Deal sah grob gesagt so aus: Man wäre für 40 Stunden beschäftigt, erhielte verhältnismäßig wenig Lohn, bekäme als Teil der Arbeit Bewerbungstraining und müsste sich trotz der Anstellung weiterhin auf freie Stellen am "ersten Arbeitsmarkt" bewerben. Keines der Tätigkeitsfelder dieses Mischbetriebes war für Hochsensible geeignet. Diesmal war ich zum Glück nicht unvorbereitet. Da bei der Bemessung der Zumutbarkeit offensichtlich keine Rücksicht auf mein empfindsames Nervensystem genommen wurde, ging ich verzweifelt zu meinem Hausarzt, der mir nach einem Gespräch die Hochsensibilität attestierte. Das Attest schickte ich dem AMS und kopierte für das "Vorstellungsgespräch" den relevanten Ausschnitt, welchen ich auf den Fragebogen tackerte. Man würde bis 15:00 Uhr angerufen werden, falls man aufgenommen würde. Ich wurde nicht angerufen. Seitdem hat sich meine AMS-Beraterin etwas mit dem Thema der Hochsensibilität befasst, wofür ich ihr dankbar bin. Zuletzt sollte ich mich bei einer Gemeinde für die Radwegpflege bewerben. Das hielt sie für eine geeignete Stelle, weil Tätigkeiten im Freien sich ihrer Recherche nach für Hochsensible eigneten. Prinzipiell ein wünschenswerter Fortschritt bei der Bestimmung geeigneter Arbeitsstellen, wäre man bei dieser Tätigkeit nicht stundenlang bei Wind und Wetter draußen und würde dabei mit lauten, stinkenden Maschinen arbeiten. Ich sollte mich trotzdem bewerben und wurde glücklicherweise nicht genommen. Man darf gespannt sein, was als Nächstes kommt.

Ich halte es allgemein für wenig gemeinnützig, hochsensible Menschen zur Mitarbeit in diesen "gemeinnützigen" Projekten zu nötigen. Sklavenarbeit oder Zwangsprostitution wären nicht weniger moralisch verwerflich, wenn sie im Rahmen gemeinnütziger Projekte stattfünden. Ich bitte um Verzeihung für den hyperbolischen Vergleich, doch es fällt mir schwer, das Leid, das hochsensiblen AMS-Kunden durch Nötigung zur Arbeit und insbesondere zur Arbeit an für sie ungeeigneten Arbeitsplätzen zugefügt wird, in Worte zu fassen, die nichthochsensible Menschen nachvollziehen könnten. Ich fühlte mich jedenfalls streckenweise ohnmächtig, missachtet, genötigt, gedemütigt und verzweifelt. Diese Emotionen sind weder angenehm noch hilfreich bei der Arbeitssuche. Die Erkenntnis, nicht etwa "kaputt" sondern hochsensibel und damit anders nützlich zu sein, hat mir dabei geholfen, mein Selbstwertgefühl wiederherzustellen.

Berufung: Lehrer für Achtsamkeit, Meditation und rationale, pragmatische Spiritualität

Wenn ich nicht gerade zwangsbeschäftigt werde, arbeite ich in meinem Beruf und meiner Berufung entsprechend als Meditationslehrer. Wie oben zitiert, neigen hochsensible Menschen zur Spiritualität. Das trifft auch bei mir zu. Ich vermute, dass dies daher rührt, dass man stärker unter unangenehmen Erfahrungen leidet als andere Menschen. Die Spiritualität bietet eine Möglichkeit, damit umzugehen. Ich befasse mich seit vielen Jahren mit der Theorie, der Praxis und dem Unterricht der Meditation. Hier ist mir die Hochsensibilität von Nutzen. Da es mir insbesondere im Privatunterricht leicht fällt, mich in meine MeditationsschülerInnen einzufühlen, spüre ich schnell, welche Übungen ihnen am meisten bringen. Ich kann sie gut durch verschiedene Techniken führen und den Unterricht an ihre Bedürfnisse anpassen. Es ist aber schwer, damit Geld zu verdienen. Insbesondere weil - wie sollte es anders sein - ich auch als Meditationslehrer wieder einmal "anders" bin. Es gibt das Thema der Meditation hierzulande hauptsächlich in vier Strömungen, die sich manchmal auch überlappen: Therapie, Wellness, Esoterik und Religion. In psychologischen Therapien erfreut sich die Meditation in Form von Achtsamkeitsübungen zunehmender Beliebtheit. Doch das Therapieren psychischer Störungen ist in Österreich definierten Berufsgruppen vorbehalten, zu denen ich als selbsternannter Meditationslehrer nicht zähle und deren Ausbildung ich mir aktuell nicht leisten kann. Der Wellnessbereich hat steigendes, aber noch zu geringes Interesse. Ich habe z.B. die Top 117 Hotels der Region analysiert. Bei 25 davon schien es mir auf Basis der Informationen auf ihren Webseiten zumindest möglich, dass sie Interesse an einem Meditationsangebot haben könnten. So schickte ich ihnen per Post je ein Portfolio mit Ideen für meditative Angebote im Rahmen ihres Hotelbetriebes. Ich erhielt eine einzige Rückmeldung, dass man sich meine Unterlagen in Evidenz behalten wolle. Im Bereich der Esoterik bin ich als rational denkender, wissenschaftlich gebildeter Mensch einfach nicht zuhause. Ich weiß, dass sich hier prinzipiell Geld verdienen ließe, aber da ich nicht an Übernatürliches glaube, wäre es unaufrichtig von mir, derartiges anzubieten, weshalb es mir mein hochsensibles Gewissen verbietet. Und Religion? Der Kern des Advaita Vedanta und des frühen Buddhismus beschreiben das Ziel der Meditation meiner Meinung nach sehr gut (auch wenn ihre Konzepte z.T. widersprüchlich erscheinen mögen). All die positiven Effekte auf die psychische und körperliche Gesundheit sehe ich als Nebeneffekte auf dem spirituellen Weg zum Geisteszustand der Erleuchtung. Aber ich empfinde mich weder als Advaita Vedantin, noch als Buddhist. Diese Gruppen kommen wieder mit eigenen Idiosynkrasien daher, die ich nicht unbedingt teile, wenn ich sie denn überhaupt kenne. Manchmal fühle ich mich wie ein Priester ohne Religion. Als solcher muss man schon sehr charismatisch sein, um seinen Lebensunterhalt mit Lehrtätigkeit verdienen zu können, doch die meiste Zeit erlebe ich mich nicht als erleuchtet (was aus verschiedenen Gründen einen ordentlichen Charisma-Boost bringt), sondern als hochsensibler Markus mit einem anstrengenden Leben.

Ich weiß nicht, wie es weitergeht, aber wer weiß das schon? Vielleicht verhelfe ich einer reichen Person zur Erleuchtung und die lässt mir daraufhin ein Meditationszentrum errichten. So war es früher einmal. Vielleicht stellt mich ein Hotel als Meditationslehrer ein. Vielleicht werde ich morgen vom Bus überfahren. Was auch geschieht, ich hoffe dieser Artikel hilft anderen hochsensiblen Arbeitslosen, sich nicht so allein zu fühlen. Gib nicht auf! Wie dir bewusst sein wird, überholen die Anforderungen der Leistungsgesellschaft gerade die menschliche Leistungsfähigkeit. Wie die Kanarienvögel in der Kohlemine sind es wir Hochsensible, die zuerst ausbrennen. Doch wir müssen durchhalten, denn wenn unsere nichthochsensiblen Mitmenschen ihre Fehler schließlich einsehen, liegt es an uns, neue Wege aufzuzeigen. Meine Rolle als Lehrer für Achtsamkeit, Meditation und rationale, pragmatische Spiritualität ist es, die Gemüter meiner Mitmenschen zu beruhigen, zu klären und zu befreien. Seit ich verstehe, wie wichtig diese Aufgabe ist und wie wenige Menschen diese Rolle erfüllen können, fällt es mir leichter, das kulturelle Stigma der Arbeitslosigkeit und die Unannehmlichkeiten beim AMS zu ertragen. Wie gehst du damit um? Schreib mir, wenn du magst!