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◷ 4 min Lesezeit - 15. Okt. 2015
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Die Bedeutung von Vedanā im Buddhismus

Vedanā ist ein wesentliches Konzept des Buddhismus. Es kommt in einigen sehr bekannten Listen vor, wie z.B. den fünf Khandhas und den vier Bezügen der Achtsamkeit (Satipaṭṭhāna).

Vedanā wird meist mit "Gefühl" oder "Empfindung" übersetzt. Entsprechend den frühbuddhistischen Überlieferungen (z.B. Datthabba Sutta; SN 36.5) gibt es drei Arten von Gefühlen: Angenehme ("sukhā vedanā"), Unangenehme ("dukkhā vedanā") und solche die weder angenehm noch unangenehm sind ("adukkhamasukhā vedanā"). Letztere werden auch mit "neutral" übersetzt.

Die meisten Erfahrungen sind angenehm oder unangenehm und falls nicht sind sie wohl neutral. Heißt das nun, dass alle Erfahrungen Vedanā sind? Nein. Es bedeutet, dass Vedanā ständig anwesend ist und wir deshalb oft Schwierigkeiten haben, es vom Rest unserer Erfahrungswelt zu unterscheiden.

Vedanā und der Körper

Vedanā ist das zweite der vier Satipaṭṭhāna (Satipatthana Sutta; MN 10). Das erste Satipaṭṭhāna ist der Körper (Kayā). Die Übersetzung von Vedanā als "Gefühl" oder "Empfindung" kann etwas verwirrend sein, denn schließlich fühlen/empfinden wir ja unseren Körper. Wenn ich nun also einen Schmerz im Knie habe, gehört das dann zu Kayā, Vedanā, beiden, oder weder noch?

Die Neurobiologie unterscheidet klar zwischen zwei Arten von Gefühlen. Die Erste umfasst die Gefühle, wie sich der Körper im Raum bewegt (Propriozeption) und den Tastsinn. Sie beginnt mit Mechanorezeptoren in Skelettmuskulatur und Haut. Dies sind relativ große Neuronen, die aktiv werden, wenn sie gestaucht bzw. gedehnt werden. Über dicke, schnelle Nervenbahnen senden sie Signale an den Teil des Gehirns, der Somatosensorischer Cortex genannt wird. Dort wird diese Information zusammengefasst und weitergeleitet an Insular Cortex (oder kurz "Insula"). Die zweite Art von Gefühlen wird Interozeption genannt. Sie beginnt mit Rezeptoren, die auf Dehnung glatter Muskulatur, Gewebeschäden, Chemikalien, Temperatur und zärtlicher Berührung der Haut reagieren. Aktivität dieser Neuronen sagt etwas über den Zustand des Körpers aus. Sie senden ihre Signale über dünne, langsame Nervenbahnen nicht nur zum somatosensorischen Cortex, sondern auch direkt zur Insula und ein paar andere Hirnregionen. In der Insula werden sämtliche Signale des Körpers zum gewohnten Körpergefühl zusammengefasst. Falls du mehr darüber erfahren möchtest: Ich habe diese Information aus dem Buch "How Do You Feel? An Interoceptive Moment with Your Neurobiological Self" vom Neuroanatomisten A.D. (Bud) Craig.

Kayā bezieht sich auf die erste Art von Gefühlen. Sie vermittelt uns, wie sich der Körper gerade bewegt und was wir anfassen. Vedanā bezieht sich auf Interozeption und informiert uns über den Zustand des Körpers. Ein Schmerz im Knie gehört also zu Vedanā, wohingegen z.B. das Geühl einen Arm zu heben zu Kayā gehört. Im Falle eines Muskelkaters gehört der dabei entstehende Schmerz wiederum zu Vedanā. Interozeptive Gefühle (Vedanā) können angenehm, unangenehm oder neutral sein, nicht-interozeptive Gefühle (Kayā) hingegen nicht.

Vedanā und Hedonische Valenz

Manche glauben, Vedanā bezeichne das, was Gefühle angenehm oder unangenehm macht (hedonische Valenz). Aber wenn dem so wäre, dann gäbe es das neutrale Vedanā nicht, denn schließlich kann man "Neutralität an sich" nicht fühlen. Es muss etwas (das Gefühl) geben, welches neutral sein kann. Das Konzept Vedanā muss daher unabhängig der hedonischen Valenz existieren.

Vedanā und Emotion

Was ist die Beziehung zwischen Vedanā und Emotionen wie Hunger oder Liebe?

Ich mag die Idee, dass Emotionen gelernte Muster körperlicher Veränderungen sind, die durch reizgesteuerte, autonome Körperaktivität ausgelöst werden (siehe z.B. die "James-Lange Theorie" und die "Somatic Marker Hypothese"). Der Ablauf ist wie folgt. Es passiert etwas in deiner Umgebung (oder im Körper selbst), was zu einer Reaktion deines autonomen Nervensystems führt, die dann Veränderungen im Körper bewirkt (z.B. eine Beschleunigung des Herzschlags). Diese Veränderungen aktivieren interozeptive Rezeptoren in den betroffenen Körperregionen, welche Signale zur Insula senden. Die entstehenden Gefühle erhalten eine hedonische Valenz. Wenn die zugrundeliegenden Veränderungen im Körper als evolutionär hilfreich erachtet werden, ist die Valenz positiv, das Gefühl also angenehm. Potenziell gefährliche Änderungen haben negative Valenz (unangenehmes Gefühl), und wenn ein Gefühl evolutionär bedeutungslos ist, empfinden wir es als neutral. Wenn sich ein bestimmtes Muster von Gefühlen oft genug wiederholt, lernen wir es zu erkennen und nennen es vielleicht "Hunger" oder "Liebe".

In diesem Modell ist Vedanā die interozeptive Basis von Emotionen. Mit anderen Worten, Vedanā bezieht sich darauf, wie sich der Körper während einer emotionalen Erfahrung anfühlt.

Vedanā in der Meditation

Auf Vedanā zu meditieren, bedeutet, ununterbrochen die wechselnden interozeptiven Gefühle zu beobachten. Wenn ein angenehmes Gefühl aufkommt, werde man sich bewusst, dass es zu Verlangen führt, wenn man sich mit diesem Gefühl identifiziert - und Verlangen führt zu Leid. Wenn ein schmerzhaftes Gefühl aufkommt, werde man sich bewusst, dass es zu Aversion führt, wenn man sich mit diesem Gefühl identifiziert - und Aversion führt ebenso zu Leid. Wenn ein neutrales Gefühl aufkommt, werde man sich bewusst, dass Leid entstehen wird, wenn man am Stand der Dinge festhält, da sich die Dinge unweigerlich verändern. Siehe auch das Pahāna Sutta (SN 36.3).